Geschichtliches von Dr. Jürgen Leib
Die Gemeinde Wettenberg wird nach Auflösung der Stadt Lahn am 1.8.1979 aus den ehemals selbständigen Gemeinden Krofdorf-Gleiberg, Launsbach und Wißmar mit insgesamt 10.700 Einwohnern gebildet.
Namensgebend für die neu gegründete Gemeinde ist ein bewaldeter Bergrücken, der etwa in der Mitte zwischen den drei Ortsteilen liegt. Deshalb wird 1971/72 dort eine integrierte Gesamtschule, die Wettenbergschule (heute: Gesamtschule Gleiberger Land), die bis zur zehnten Jahrgangsstufe führt, errichtet.
Die Gemarkungsfläche umfasst 4.293 Hektar. Davon entfallen 2.385 Hektar auf den Gemeinde- und Staatswald. Der mit 56 % sehr hohe Waldanteil geht zum einen auf den früher zur Burg Gleiberg gehörigen herrschaftlichen Gleiberger Wald (später: Krofdorfer Forst) zurück, zum anderen auf die ehemalige Wißmarer Markgenossenschaft (gemeinschaftliche Organisationsform, die über Wald und landwirtschaftliche Nutzflächen verfügt).
Die ältesten Bodenfunde in der Gemarkung belegen, dass schon vor rund 6.500 Jahren Menschen vorübergehend hier gelebt haben. Eine kontinuierliche Besiedlung ist allerdings erst für eine spätere Zeit nachweisbar.
Die Zufälligkeit der ersten urkundlichen Erwähnung (Krofdorf: 774; Wißmar: 778; Gleiberg: 1141; Launsbach: 1242) besagt wenig über das tatsächliche Alter eines Ortes. Um dieses mit einiger Sicherheit bestimmen zu können, sind weitere Indikatoren heranzuziehen, wie z.B. Bodenfunde, die Gemarkungsgröße, die Ortsnamensendung, die Siedlungsform und die topographische Lage.
Von den vier Siedlungskernen Wettenbergs ist Wißmar der älteste. Archäologische Funde, die keltoromanische bzw. altgermanische Ortsnamensendung und die hochwassergeschützte Lage des Ortskerns auf der Lahnmittelterrasse sprechen für eine mindestens 1.800-jährige Siedlungskontinuität.
Krofdorf dürfte seit etwa 1.400 Jahren existieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind es Angehörige des germanischen Volksstamms der Franken, die aus dem Rhein-Main-Gebiet durch die Wetterau nach Norden vordringen und im späten 6. Jh. den Ort gründen.
Launsbach ist vermutlich etwa 1.100 Jahre alt. Aufgrund der Lage auf der Lahnmittelterrasse, der Ortsnamensendung und der relativ geringen Gemarkungsgröße dürften seine Anfänge im 9. Jh. zu suchen sein.
Gleiberg kann auf eine etwa 800-jährige Entwicklung zurückblicken. Die Siedlung entsteht zu Beginn des 12. Jh. im Anschluss an die Burg und wächst in der Folgezeit rasch an Einwohnern und Bedeutung.
Außerhalb der Ortskerne existieren zu unterschiedlichen Zeiten Einzelhöfe und Weiler auf landwirtschaftlicher und/oder gewerblicher Basis. Hinweise darauf finden sich in Archivalien, in Flurnamen oder als Spuren im Gelände, u.a. in Form von Ackerrainen, Eisenschlacken, Kohlenmeilerplätzen, Mauerresten oder stickstoffliebenden Pflanzen im Wald (z. B. Immergrün, Brennnesseln).
Die jeweiligen Eigentümer der Gleiburg bestimmen über Jahrhunderte das Leben der Bevölkerung in den Ortsteilen. Es sind dies die Grafen von Gleiberg/Luxemburg (1000 – 1170), die Herren von Merenberg (1170 – 1333), die Grafen von Nassau (1333 –1816) und schließlich der preußische Staat (1816 – 1945). Für Wißmar sind vom 14. bis zum Beginn des 18. Jh. auch die Herren der Badenburg als Obermärker (Aufseher) der Markgenossenschaft von Bedeutung.
Nach der Teilung der Grafschaft Gleiberg um die Mitte des 12. Jh. kommt die Osthälfte später an die Landgrafen von Hessen. Die Westhälfte u.a. mit Gleiberg und Krofdorf gelangt an die Herren von Merenberg und dann an die Grafen von Nassau. Bei der Teilung verbleibt ein Gebiet in gemeinsamem Besitz, das sog. "Gemeine Land an der Lahn". Dazu gehören u.a. Launsbach und Wißmar. Nach ständigen Streitigkeiten über Rechte und Zuständigkeiten, wird das "Gemeine Land an der Lahn" 1585 zwischen Hessen und Nassau aufgeteilt. Launsbach und Wißmar werden jetzt nassauisch, so dass seither alle Wettenberger Ortsteile zu ein und derselben größeren Verwaltungseinheit gehören. Nach dem Übergang an Preußen werden sie wenige Jahre später in den Kreis Wetzlar eingegliedert. Vom 1.1.1977 bis zum 31.7.1979 gehören sie als Stadtbezirk Wettenberg zur kreisfreien Stadt Lahn und bilden nach deren Auflösung die Gemeinde Wettenberg, die dem Kreis Gießen zugeordnet wird.
Die Zeit zwischen den Siedlungsanfängen und dem 16. Jh. sind „stumme“ Jahrhunderte. Es gibt kaum Aufzeichnungen, die über besondere Ereignisse berichten. In Gleiberg bestimmen Burgbedienstete, Ritter, und Verwaltungsbeamte das Leben. In Krofdorf, Launsbach und Wißmar liegt der Schwerpunkt auf Land- und z.T. Waldwirtschaft sowie dem dörflichen Handwerk.
Viermal sind die Einwohner indirekt von Kriegshandlungen betroffen. Erstens während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), in dessen Verlauf durchziehende Truppen die Dörfer ausrauben, die Pest wütet und die Gleiburg beschossen und in Brand gesetzt wird. Zweitens im Winter 1759/60, als im Siebenjährigen Krieg ca. 100.000 v.a. französische, österreichische und preußische Soldaten beiderseits der Lahn lagern. Zurück bleiben die Schanzen im Launsbacher Wald und auf dem Homberg sowie eine verarmte und dezimierte Bevölkerung. Drittens während der Napoleonischen Kriege, als unser Raum von zahlreichen Truppendurchzügen, Einquartierungen und Plünderungen betroffen ist, und viertens beim Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945.
Seit der 2. Hälfte des 19. Jh. findet innerhalb weniger Jahrzehnte ein tiefgreifender struktureller und funktionaler Wandel statt. Die Landwirtschaft büßt ihre dominante Stellung ein. Die in Gießen, Heuchelheim, Lollar und Wetzlar entstehenden Gewerbe- und Industriebetriebe sowie die in allen Ortsteilen angesiedelten Zigarrenfabriken bieten zunehmende Möglichkeiten eines außerlandwirtschaftlichen Neben- und später Haupterwerbs. Die Bahnlinie zwischen Lollar und Wetzlar (1874 – 78 erbaut, 1980 stillgelegt) mit Bahnhöfen für alle Ortsteile und später eingerichtete Busverbindungen nach Gießen erleichtern die Erreichbarkeit der Arbeitsstätten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgen drei Gruppen von Zuwanderern für ein anhaltendes Bevölkerungswachstum. Erstens sind es Heimatvertriebene und Flüchtlinge, welche die Einwohnerzahlen von Krofdorf-Gleiberg (1939: 2.543; 1950: 3.491; + 37 %), Launsbach (1939: 879; 1950: 1.260; + 43 %) und Wißmar (1939: 2.077; 1950: 2.867; + 38 %) sprunghaft steigen lassen. Da sie überwiegend katholischen Glaubens sind, wird 1959/60 in Wißmar die St.-Raphaelskirche und 1962/63 in Krofdorf die St.-Dreifaltigkeitskirche errichtet. Zweitens ziehen seit den 1960er Jahren viele Gießener Bürger nach Wettenberg. Drittens kommen später Zuwanderer v.a. aus der Region Mittelhessen hinzu, da neben Wohnbauflächen zunehmend auch Gewerbegebiete ausgewiesen werden. Insgesamt steigt die Einwohnerzahl von knapp 8.500 (1961) auf fast 13.000 (2010).
Zwischen 1983 und 2006 haben die alten Ortskerne in Wißmar und Launsbach durch das Landesprogramm zur Dorferneuerung, diejenigen in Krofdorf und Gleiberg durch das Landesprogramm zur Einfachen Stadterneuerung eine Aufwertung erfahren.
Gleiberg – Burg und Siedlung
Eine um das Jahr 1000 von den Grafen von Gleiberg aus dem Hause Luxemburg errichtete erste Befestigungsanlage auf dem 308 m hohen Basaltkegel wird in den folgenden Jahrhunderten weiter ausgebaut. Markante Überreste sind der runde Bergfried (12./13. Jh.), der Westgiebel des Merenberger Baus (12.-14.Jh.), die äußeren Ringmauern der Oberburg (15. Jh.) sowie der Albertus- und Nassauerbau der Unterburg (16. Jh.). Die 1646 weitgehend zerstörte Oberburg wird in den 1980/90er Jahren vom Gleiberg-Verein, der seit 1879 Eigentümer der Burg ist, umfassend saniert. Seit 1983 veranstalten die Ortsvereine periodisch Gleibergfeste, teilweise verbunden mit historischem Markttreiben im Dorf.
Die zu Füßen der Burg sich entwickelnde Siedlung wird ursprünglich von Burgmannen bewohnt. Sie erhält 1331 Frankfurter Stadtrecht und wird um die Mitte des 14. Jh. von einer Mauer umgeben, von der Teilstücke und die beiden Toranlagen noch erhalten sind. Etwa gleichzeitig wird die Katharinenkirche erbaut, die 1619/21 ihren heutigen L-förmigen Grundriss erhält. In der ersten Hälfte des 16. Jh. wird eine Lateinschule eröffnet, deren Abschluss später zum Besuch der Universität Gießen berechtigt. Trotz der Stadtrechtsverleihung und des damit verbundenen Marktprivilegs setzt ein rascher Niedergang der Siedlung ein, als die Burg um die Mitte des 17. Jh. ihre Funktion verliert und im 18. Jh. die Amtsverwaltung verlegt wird. Danach müssen die Einwohner auf Landwirtschaft umsteigen und geraten in eine schwierige Situation. Seit 1999 knüpft die Gemeinde Wettenberg an die Jahr- und Wochenmarktrechte an, die 1331 an Gleiberg verliehen wurden, und veranstaltet jeden Freitag einen Wochenmarkt, der allerdings aus Platzgründen nicht in Gleiberg, sondern auf dem Sorguesplatz vor der Gemeindeverwaltung in Krofdorf stattfindet.
Krofdorf
Der Dorfkern liegt nördlich und westlich der evangelischen Margarethenkirche im Bereich der mittleren Rodheimer Straße, Fohnbachstraße und Großgasse. Die Kirche wird 1513 an der Stelle eines romanischen Vorgängerbaus in ihrer gegenwärtigen Form errichtet und gilt als das bedeutendste Beispiel einer spätgotischen Holzpfeilerkirche in Hessen. Seit Mitte des 19. Jh. erhält das Dorf seine bis heute dominierende Nord-Süd-Richtung mit der Hauptstraße als zentraler Achse. Ihre Breite, Gradlinigkeit und fast schnurgerade Fortsetzung in der Waldhausstraße weisen sie als Teil einer alten Heer- und Handelsstraße aus, die u.a. zu der im 8. Jh. angelegten karolingischen Etappenstation, dem sog. Gronauer Schloss, an der nördlichen Gemarkungsgrenze führt. 1815 wird das erste Schulgebäude errichtet. Seit 1919 ist die Schule in einem später erweiterten Gebäudekomplex in der Burgstraße untergebracht. Das seit 1990 im Ortsteil Krofdorf durchgeführte Festival „Golden Oldies“ hat die Gemeinde überregional bekannt gemacht.
Launsbach
Die ersten Häuser stehen auf der Lahnmittelterrasse im Umfeld der evangelischen Kirche (Kirchgärten, Kirchstraße, Lahnstraße). Über Jahrhunderte wächst der Ort flächen- und einwohnermäßig nur langsam und gilt als eine arme Gemeinde. Die mit 365 Hektar relativ kleine Gemarkung liegt etwa zur Hälfte in der von Auenwäldern bestandenen, z.T. versumpften und periodisch überschwemmten Lahnaue und ist deshalb lange Zeit nur sehr eingeschränkt landwirtschaftlich nutzbar. Einen gewissen Ausgleich bieten die von fruchtbarem Lößlehm überzogenen Ostabhänge des Wettenbergs. 1618 erhält die Kirche, die aus Schutzgründen von einer Ringmauer umgeben ist, durch Erweiterungen einer bestehenden Kapelle ihre heutige Gestalt. Ein 1797 zur Schule umfunktioniertes ehemaliges Hirtenhaus wird im 19. Jh. durch zwei Neubauten ersetzt, bevor schließlich 1955 die derzeitige Grundschule (An der Ziegelhütte) gebaut wird. Der seit 2003 jährlich in Launsbach veranstaltete Erntedankmarkt zieht überwiegend lokale Besucher an.
Wißmar
Die Besiedlung nimmt ihren Ausgangspunkt um die evangelische Kirche und greift dann auf die Schul-, Eck-, untere Krofdorferstraße, Erbsen- und Langgasse aus. Nach einem Großbrand im Jahre 1766 erhalten v.a. die Schulstraße und Langgasse ihre heutige Breite und Richtung. Anstelle von älteren Vorläuferbauten entsteht 1828 – 1830 die in klassizistischem Stil errichtete Kirche. Seit dem ausgehenden 16. Jh. wird in Wißmar Schulunterricht erteilt, an dem zunächst auch Kinder aus Launsbach teilnehmen. Ein eigener Unterrichtsraum steht in dem 1775 errichteten Rathaus (Ecke Schul-/Pfarrstraße) zur Verfügung. Nach verschiedenen Zwischenlösungen kann 1956 das heutige Schulgebäude im Hainerweg bezogen werden. Der in Wißmar veranstaltete Hessische Märchen- und Krämermarkt, aber auch die traditionelle Kirmes sind von regionaler Bedeutung. Das 2003 eröffnete Hessische Holz+Technik-Museum weist einerseits auf die frühere und gegenwärtige Bedeutung des Waldes für Wettenberg hin, andererseits bietet es alles rund um das Thema Holz gestern und heute.
Geschichte zum Erleben und Anfassen bieten die Heimatmuseen in Krofdorf (Inselstraße), Launsbach (Lahnstraße) und Wißmar (Schulstraße) und Führungen auf Burg Gleiberg. Die reichhaltige Historie der Gemeinde und seiner Ortsteile ist in den nachfolgend genannten Veröffentlichungen umfassend dokumentiert.
1) GEMEINDEVORSTAND DER GEMEINDE WETTENBERG (Hrsg.): 25 Jahre Wettenberg. Gedanken – Erinnerungen – Ansichten. Wettenberg 2004. 52 Seiten.
2) HANS, G. (Hrsg.): Launsbach an der Lahn. Die Geschichte eines Dorfes von den Anfängen bis zur Gegenwart. Gießen 1992. 458 Seiten.
3) HANS, G. (Hrsg.): Die Geschichte eines Dorfes an der Lahn. Wißmar 778 – 2003.Wettenberg 2003. 722 Seiten.
4) LEIB, J.: Krofdorf-Gleiberg zwischen Tradition und Fortschritt. Heimatbuch zur 1200-Jahrfeier der Gemeinde Krofdorf-Gleiberg. Gießen 1974. 688 Seiten.
5) LEIB, J. (Bearb.) Historischer Bildband Wettenberg. Krofdorf-Gleiberg, Launsbach, Wißmar. Ortsansichten und dörfliches Leben zwischen 1860 und 1960. Wettenberg 1991. 102 Seiten.